Westjordanland – Bulldozer zu Ramadan

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Israel planiert im Westjordanland Häuserreihen und die Hoffnung auf eine Zusammenarbeit mit der Palästinenserführung. Und der Einzige, der das stoppen könnte, schaut weg.

Steffi Hentschke / Zeit Online

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Seit Wochen geht Israels Armee im besetzten Westjordanland so aggressiv vor wie seit vielen Jahren nicht. Die Soldaten rücken mit bewaffneten Planierraupen an, graben Strassen auf und machen ganze Häuserreihen platt. Die Menschenrechtsorganisation B’Tselem dokumentiert die Fälle mit Videos: «Erst haben wir im Fernsehen gesehen, was in Gaza passiert», sagt eine sehr alte Frau in einer der Aufnahmen. «Jetzt passiert uns das Gleiche.»

Israelische Armeefahrzeuge während einer militärischen Operation in Jenin, 21. Januar 2025.Bild: keystone

Mehr als 40’000 Menschen sollen laut B’Tselem obdachlos oder vertrieben worden sein, aus Dschenin, Tulkarm, Nur Shams und Tubas. Gleichzeitig weitet Israels Armee ihre dauerhafte Präsenz aus, schickte zum ersten Mal seit 2002 Panzer und Bulldozer. Die Bilder wecken Erinnerungen an die Operation Defensive Shield, jener Offensive im Jahr 2002 während der Zweiten Intifada: Auch damals war Israel umfassend ins Westjordanland einmarschiert, hatte ganze Strassenzüge zerstört. Bei Kämpfen zwischen Palästinensern und der Armee sollen damals Hunderte Menschen getötet worden sein. Auf beiden Seiten hinterliess das ein Trauma.

20 Jahre später, das zeigen die zurückgekehrten Panzer und Planierraupen, hat sich die Lage nicht verbessert. Israel fühlt sich weder sicherer vor Terroranschlägen noch ist das Leben der palästinensischen Bevölkerung besser geschützt. Die Nichtregierungsorganisation International Crisis Group mit Sitz in Brüssel zeichnet in einer aktuellen Einschätzung nach, warum sich die Situation in den vergangenen Jahren rapide verschlechtert hat. Die entscheidenden Ereignisse: der anhaltende Unwille von Mahmud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde PA, Neuwahlen zu erlauben. Ausserdem Israels Parlamentswahlen im November 2022, die zu einer Regierungskoalition unter der Beteiligung teils rechtsextremer Minister führten. Und nicht zuletzt natürlich der Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 und nun die Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsidenten. 

Die widersprüchlichen Äusserungen der Trump-Administration zu den besetzten Gebieten hätten alte Annahmen über die Zukunft verworfen und «scheinbar Möglichkeiten eröffnet, die sich die Regierung des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu bisher kaum vorstellen konnte», heisst es in der Einschätzung der Crisis Group. Damit bezieht sie sich insbesondere auf die Vertreibung der Palästinenser aus Gaza sowie die Idee, den Streifen unter US-Kontrolle auszubauen.

Nur die USA hätten genug Macht, um Einfluss zu nehmen

Tatsächlich sei angesichts Trumps insgesamt inkonsistenten Aussagen über das Westjordanland im Moment mit dem schlimmsten Szenario zu rechnen − nämlich, dass mit den USA das einzige Land nichts tut, das überhaupt Einfluss auf die Entwicklungen nehmen könnte.

Ohne die USA bleiben der in Israel selbst umstrittene Ministerpräsident Netanjahu auf der einen und der ebenfalls extrem unbeliebte Abbas auf der anderen Seite übrig. Das Verhältnis ist asymmetrisch. Israel ist die Besatzungsmacht und kann deshalb darüber verfügen, wie viel Spielraum und Eigenständigkeit sie der PA gewehrt. Die jüngsten Militäreinsätze finden überwiegend in Gebieten statt, über die eigentlich die PA die Kontrolle haben sollte. In den vergangenen Monaten versuchte sie auch, teils erfolgreich und mit Unterstützung der Biden-Regierung, vom Iran finanzierte Terrorzellen im Westjordanland zu entmachten. Unter den Palästinensern machte sie sich damit aber unbeliebt, wurde als Kollaborateur der Israelis beschimpft. 

«Das Dilemma, in dem sich die Palästinensische Autonomiebehörde befindet, verdeutlicht das zentrale Dilemma der palästinensischen Nationalbewegung: entweder Widerstand gegen eine immer stärker unterdrückende Besatzung leisten – und wenn ja, wie – oder mit Israel kooperieren», schreibt die International Crisis Group dazu. Demnach habe die PA nicht nur bewaffnete Gruppen, sondern auch «gewaltlose Formen des Widerspruchs zu unterdrücken» versucht, in der Annahme, Israel würde sich dafür mit Zugeständnissen bedanken, wodurch sich «die Lebensbedingungen der Palästinenser verbessern und damit den Anreiz verringern würden, zu den Waffen zu greifen oder auf die Strasse zu gehen».

«Ein Gefühl des Rausches im Raum»

Tatsächlich wirkt es, als würde Israel mit den umfassenden Einsätzen auch alle Hoffnungen auf eine verbesserte Zusammenarbeit mit der PA plattwalzen. Dabei hat die PA wohl gehofft, eine wesentliche Rolle beim Wiederaufbau des zerstörten Gazastreifens zu spielen und eventuell die verfeindete Hamas als politische Macht ersetzen zu können. Diesen Plan haben die Biden-Regierung, Teile der EU und der arabischen Staaten unterstützt.

Netanjahu weigert sich bisher, realistische Perspektiven für ein Nachkriegsgaza zu besprechen, stellt sich stattdessen hinter Trumps radikalen Gaza-Plan. Wie das US-Nachrichtenportal Axios mit Verweis auf israelische Beamte Anfang Februar berichtete, herrsche neuerdings in Netanjahus Koalition «ein Gefühl des Rausches im Raum», als ob alle Probleme in Gaza jetzt gelöst wären, weil Trump etwas gesagt habe.

Die PA lehnte Trumps Plan ab, genauso die arabischen Staaten. Allerdings: In einem unter der Federführung Ägyptens ausgearbeiteten alternativen Plan für eine Nachkriegsordnung soll offen sein, welche Verantwortung die PA tatsächlich übernehmen würde. Neben den 40’000 Vertriebenen aus den betroffenen Orten im Westjordanland ist es deshalb aktuell die moderate PA, die den Preis zu zahlen droht für Israels Militäroperation.

Die israelische Armee wiederum rechtfertigt ihr Vorgehen mit befürchteten Terroranschlägen nach dem Ende des für Muslime heiligen Fastenmonats Ramadan in zwei Wochen. Ausserdem herrsche Unsicherheit darüber, welche Folgen die Freilassung Hunderter palästinensischer Inhaftierter als Teil der Waffenruhe-Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas haben könnte − und ob die Hamas die Freigelassenen für erneute Anschläge auf Israelis gewinnen könnte. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Schmuggel mit illegalen Waffen. Vergangene Woche etwa sollen israelische Sicherheitskräfte ein «riesiges Waffenlager, mit Gewehren und Sprengstoff» in der Nähe von Ramallah entdeckt haben, berichtete das Nachrichtenportal Ynet. Wie es heisst, sei bisher unklar, woher die beschlagnahmten Waffen stammten.

Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.

Wenn man für den Feind arbeitet

Video: srf

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