Trump zieht Zorn der Kanadier auf sich – und bedroht «Little Switzerland» an der Grenze

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Kanada ist in Aufruhr. Fast täglich stösst der amerikanische Präsident Donald Trump gegen das flächenmässig zweitgrösste Land der Welt aus.Bild: Shutterstock

Der amerikanische Präsident eskaliert den Handelskrieg mit dem nördlichen Nachbarn. Das sorgt für Unverständnis und Wut in Kanada, wie ein Augenschein im Land des Ahornblattes zeigt.

Renzo Ruf / ch media

Kanada ist in Aufruhr. Fast täglich stösst der amerikanische Präsident Drohungen gegen das flächenmässig zweitgrösste Land der Welt aus. Zuletzt verkündete Donald Trump am Dienstag eine massive Erhöhung der Zölle auf Aluminium- und Stahl-Importe aus Kanada. Zudem sprach er erneut darüber, Kanada als 51. Bundesstaat in die USA zu integrieren.

Diese Drohgebärden führen zu massiven Spannungen in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Und sie haben zur Folge, dass sich das Verhältnis zwischen Kanadiern und Amerikanern weiter abkühlt, wie eine Reise entlang der Grenze zeigt.

Der Café-Besitzer, der den «Americano» verbannt hat

William Oliveira kann sich nicht beklagen. Sein Kaffeehaus in einem trendigen Viertel von Toronto ist erst vier Monate alt. Aber bereits spricht die halbe Welt über das Cafe Belém. Zuletzt kündigte sich ein Fernsehteam aus Südkorea zu Besuch an, wie der 25-Jährige sagt.

Der Gastronom William Oliveira in seinem Cafe Belém in Toronto.Bild: CH Media

Der Grund für diesen Rummel: der Entscheid von Oliveira, aus Protest gegen Donald Trumps Annexionsgelüste ein beliebtes Kaffeegetränk umzutaufen – von «Americano» in «Canadiano».

In seiner heimeligen Gaststube erzählt Oliveira: Er habe ein Zeichen gegen den «Gentleman da drüben» setzen wollen, wie er den amerikanischen Präsidenten nennt. Und obwohl er nicht mit einem derart positiven Echo gerechnet habe, sei er doch nicht weiter überrascht darüber, dass viele Kanadierinnen und Kanadier die Botschaft verstanden hätten. «Wir lassen uns nicht herumschubsen!», sagt Oliveira.

Der Sohn portugiesischer Einwanderer betont, dass er wenig Interesse daran habe, sein Café zu einem «politischen Ort» zu machen. Er vertrete mit seiner Protest-Aktion und der Verbannung des «Americano» (vergleichbar mit einem «Lungo» in der Schweiz) vor allem seine private Meinung. Aber sein Betrieb sei nunmehr kanadisch und er konzentriere sich deshalb auf die Interessen Kanadas. «Es gibt kein Zurück mehr», sagt Oliveira.

Die Strasse, die man nicht einfach überqueren darf

Die Strasse im Dörfchen Beebe Plain hat zwei Namen. In Kanada heisst sie Rue Canusa, im südlichen Nachbarland Canusa Avenue. Und nirgendwo sonst lässt sich besser beobachten, wie nahe die Menschen in beiden Ländern entlang der fast 9000 Kilometer langen Grenze zusammenleben. Denn auf diesem kurzen Abschnitt, da verläuft die Grenze mehr oder weniger in der Mitte einer Quartierstrasse.

Auf der einen Seite befinden sich die amerikanischen Häuser, etwas mehr als ein Dutzend an der Zahl. Die Bewohner sind, aufgrund eines Missgeschicks der Geschichte, abgeschnitten vom Rest der USA. Auf der anderen Strassenseite wohnen die Kanadier. Und beiden Seiten ist es strikt verboten, die Rue Canusa zu Fuss zu überqueren. Bewegungsmelder stellen sicher, dass dieses Verbot befolgt wird.

Die Canusa Avenue in Beebe Plain. Links befinden sich die kanadischen Häuser, rechts die amerikanischen. Bild: CH Media

Ein Trottoir hat es nur auf der kanadischen Seite, natürlich, ist man versucht zu sagen. Dort treffen wir Francine Desbiens, die sich gerade auf dem Nachhauseweg befindet. Über Donald Trump sagt die Frankokanadierin: «Wir mögen ihn nicht.» Er behandle die kanadische Bevölkerung, als «seien wir bloss Zahlen für ihn». Seine Unberechenbarkeit, die mache ihr Angst, sagt Desbiens. «Er wird noch einen Krieg vom Zaun brechen.»

Ihren Nachbarn auf der anderen Strassenseite ist Desbiens aber nicht böse. «Sie tun mir leid», sagt sie lächelnd. So geht es hier vielen Kanadiern. Die Grenze ist zwar im Alltag stets präsent und ein mühsames Hindernis. Aber eigentlich ist die Grenze auch höchst porös. Man spricht Englisch und Französisch, hat Verwandte in beiden Ländern und ist aufeinander angewiesen. Wenn da bloss nicht der amerikanische Präsident wäre.

Unterwegs an der Grenze zwischen USA und Kanada.Bild: OSM

Der Programmierer, der kanadische Produkte bevorzugt

Patriotische Botschaften sind in kanadischen Supermärkten allgegenwärtig. Auf der Ketchup-Flasche, die jedes Kind erkennen würde, ist ein Ahornblatt zu sehen. Und im Regal, in dem ein bekanntes amerikanisches Erfrischungsgetränk verkauft wird, ist zu lesen: «Stolz hergestellt in Québec.»

In einem kanadischen Supermarkt in Toronto gibt ein Schild Auskunft über Milchprodukte, die aus dem Inland stammen.Bild: Toronto Star

Sasha Ivanov aber reichen solche Bekenntnisse nicht aus. Der Programmierer aus Calgary weiss, dass viele grosse kanadische Lebensmittelkonzerne Wurzeln in den USA haben. Und dass es nicht ausreicht, auf Herkunftsbezeichnungen wie «Made in Canada» zu vertrauen. Seine neue App, die den Namen «Maple Scan» trägt, analysiert deshalb auch wirtschaftliche Verflechtungen eines Anbieters.

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Die App, die bereits mehr als 70’000-mal heruntergeladen wurde, funktioniert recht einfach. Im Supermarkt macht der Konsument ein Bild des gewünschten Produkts. Mithilfe von KI spuckt «Maple Scan» dann vertiefte Angaben über das Nahrungsmittel aus – und macht es damit einfacher, echte kanadische Produkte zu identifizieren.

«Es gibt derzeit kein anderes Thema», sagt Ivanov über die kanadische Gegenreaktion auf den US-Handelskrieg. Und tatsächlich ist «Buy Canadien», wie die patriotische Gegenreaktion auf Trumps Strafzölle auch genannt wird, zu einer Volksbewegung angewachsen. Importe aus Amerika werden boykottiert.

Der 30 Jahre alte Ivanov ist überzeugt: Dabei handelt es sich nicht um eine kurzfristige Reaktion. «Die Art und Weise, wie wir Kanadier über unsere Wirtschaft denken, hat sich geändert.» Dass er dazu einen kleinen Beitrag habe leisten können, stimme ihn zufrieden.

Die Bibliothek, die in beiden Ländern zu Hause ist

Die Haskell Free Library & Opera House ist eine weltweit einmalige Institution: ein fast 125 Jahre altes Gebäude, in dem sich eine Bibliothek und ein grosser Theatersaal befinden, das in zwei Ländern zu Hause ist. Eine Seite befindet sich im US-Bundesstaat Vermont, wo auch die Eingangstüren sind, die andere in der kanadischen Provinz Québec.

Und weil das einzigartig ist, fand die Bevölkerung in den Dörfern Derby Line (Vermont) und Stanstead (Québec) auch eine ganz besondere Lösung für Bücherliebhaber aus Kanada: Sie können die Bibliothek besuchen, ohne einen offiziellen Grenzübergang zu passieren – solange sie keinen Umweg machen.

Sylvie Boudreau im Gebäude der Haskell Free Library & Opera House. Mit dem linken Bein steht Boudreau in Kanada, mit dem rechten in den USA.Bild: CH Media

Diese pragmatische Lösung ist dem Grenzschutz schon lange ein Dorn im Auge, vor allem auf der amerikanischen Seite. Die Bibliothek wird als das «schwächste Glied» einer Grenze bezeichnet, die in den Augen der neuen Regierung in Washington zu durchlässig ist.

Sylvie Boudreau macht das Angst. Die Kanadierin präsidiert den Trägerverein, der die Haskell Free Library betreibt. Sie war früher selbst als Grenzwächterin tätig und deshalb mit der Materie vertraut. Sie sagt: Den Behörden sei es ein Dorn im Auge, dass die Bibliothek derzeit Schlagzeilen mache und viele Touristen anziehe. Man befürchte, dass sich unter den neuen Besuchern auch Kriminelle befänden, die das Gebäude auskundschaften wollten – um Drogen oder Waffen zu schmuggeln.

Für diese Entwicklung ist allerdings auch eine amerikanische Ministerin verantwortlich. Im Februar besuchte Kristi Noem die private Bibliothek; im Kabinett von Präsident Trump ist die Republikanerin auch für den Grenzschutz zuständig. Und wie eine Touristin posierte Noem dabei auf der Linie im Gebäude, an der die Grenze mit einem abgewetzten Klebeband markiert wird. Auf der US-Seite sagte Noem: «Nummer eins». Dann machte sie einige Schritte gen Norden und sagte in Kanada: «51. Staat.»

Die Haskell-Bibliothek in Derby Line (Vermont). Der unbewachte Grenzübertritt nach Kanada ist mit einem orangen Poller markiert.Bild: CH Media

Als sich dieser bizarre Moment verbreitete, war die Empörung gross. «Respektlos» sei das gewesen, sagt Boudreau und ein Verstoss gegen das Credo der Haskell-Bibliothek. «We are Little Switzerland», sagt sie auf Englisch, ein kleiner, neutraler Begegnungsort. Aber nun rätselt Boudreau, ob Noems Auftritt vielleicht bloss einen Vorgeschmack gab auf künftige Probleme. Sie wisse es nicht, sagt sie. «Wir warten. Und wir hoffen, dass nichts passiert.» (les)

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