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Turnstunde mit dem Bergdoktor: Hanspeter Latour zeigt seinem Team, wo es langgeht.Bild: EPA
Unvergessen
3. Januar 2006: Die Verwunderung in Deutschland ist gross, als der 1. FC Köln seinen neuen Trainer vorstellt. Denn Hanspeter Latour ist in der Bundesliga ein völlig unbeschriebenes Blatt. Doch mit seinem aufgestellten Wesen packt er die Kölner vom ersten Moment an.
Magere zwölf Punkte hat der 1. FC Köln nach der Hinrunde der Saison 2005/06 auf seinem Konto. Damit belegt der einst so stolze Aufsteiger einen Abstiegsplatz. Weil das überhaupt nicht mit den Ansprüchen des dreifachen deutschen Meisters korrespondiert, müssen Trainer Uwe Rapolder und Sportchef Andreas Rettig gehen.
Dessen Nachfolger, Ex-Dortmund-Manager Michael Meier, muss also als erste Amtshandlung einen neuen Coach aus dem Hut zaubern. Am 3. Januar 2006 stellt er ihn vor – und erntet überraschende Blicke der Medienschaffenden. Denn der neue Köln-Trainer ist kein alter Bundesliga-Haudegen, ja noch nicht einmal ein Deutscher. Sondern Hanspeter Latour, 58 Jahre alt, graue Haare, aus der kleinen Schweiz.
Manager Meier, Präsident Overath und Trainer Latour.Bild: EPA
«Der Mann, der müden Kölner Kickern Beine machen kann»
Doch Latour erobert die berüchtigten Kölner Medien im Sturm. Mit träfen Sprüchen sorgt er bei seiner Präsentation dafür, dass ihn die Boulevard-Zeitung «Express» flugs zum «Schweizer Bergdoktor» macht. Latour ist «der Mann, der den müden Kölner Kickern Beine machen kann», schreibt das Blatt. Bühnenreif sei Latours erster Auftritt in der Domstadt gewesen, berichtet die Sportagentur SID.
Latour erzählt unter anderem vom ersten Kontakt mit seinem neuen Klub. «Bei dem Anruf habe ich zuerst gedacht: ‹Oje, die Bundesliga will mir wieder einen Spieler wegnehmen›», scherzt der ehemalige Thun- und GC-Trainer. Mit Hinweis auf den einst in Köln engagierten und entlassenen Marcel Koller (nur 4 Siege in 23 Spielen) meint Latour: «Der 1. FC Köln muss ein verrückter Verein sein, sonst hätten sie nicht nochmal einen Schweizer genommen.»
Latour plaudert so lange, bis er einen Vertrag hat
Der «Bergdoktor» erobert die Reporter so, wie er einige Tage zuvor die Kölner Vereinsführung von sich überzeugt hat. Fünf Stunden lang seien sie zusammengesessen, erzählt Präsident Wolfgang Overath: «Wir waren danach alle ziemlich erschöpft, aber Latour war am Ende noch besser in Form als am Anfang.»
Overath und Manager Meier haben sich zuvor Referenzen bei ganz Grossen eingeholt: Ottmar Hitzfeld und Günter Netzer raten den Kölnern, den Versuch mit Latour zu wagen. Der Neue spricht von «einer anderen Dimension», in der er sich nun bewege. «Aber ich sage mir: Grundsätzlich funktioniert der Fussball doch gleich wie bei uns.»
Rund drei Wochen nach seiner Vorstellung gibt Latour sein Debüt in der Bundesliga. Es misslingt: Köln verliert in Mainz trotz zwischenzeitlicher 2:1-Führung mit 2:4. «Ich weiss, wo ich den Hebel ansetzen muss», sagt der Trainer, der sich um Verstärkung aus der Heimat bemüht.
Begehrtes Sujet der Fotografen: Latour beim Bundesliga-Debüt in Mainz.Bild: AP
Nach dem Abstieg weiter in Köln – aber nicht für lange
Wenige Tage später verpflichtet Köln den Schweizer Nationalspieler Ricardo Cabanas, Latour lotst ihn von seinem Ex-Klub GC nach Deutschland. Doch er kann den Abstieg letztlich ebenso wenig verhindern wie Lukas Podolski, der Star des Teams. Der vierte Abstieg der Vereinsgeschichte wird am vorletzten Spieltag besiegelt, mit einer 0:6-Klatsche in Bremen.
Trotz des Gangs in die 2. Bundesliga darf Hanspeter Latour in Köln bleiben. Er soll das Team umbauen und zum sofortigen Wiederaufstieg führen. Der Start gelingt hervorragend, nach fünf Runden führt der 1. FC Köln die Tabelle an. Doch danach ist der Wurm drin. Köln gewinnt kein einziges Spiel mehr, rutscht in der Rangliste ab und droht das Saisonziel frühzeitig aus den Augen zu verlieren. Nach elf Runden, am 9. November 2006, ist Hanspeter Latours Zeit in Köln abgelaufen.
Cabanas und ein XXL-Köln-Trikot: Wenige Wochen nach der Trennung ist der Ex-GC-Captain wieder mit Trainer Latour vereint.Bild: AP
Der Bergdoktor will einen Geissbock mitnehmen
Natürlich ist Latour enttäuscht. Aber er zeigt Grösse und verabschiedet sich nicht nur von den Spielern, sondern gibt auch eine Medienkonferenz. «Selbstverständlich wäre ich länger geblieben», sagt Latour. «Ich glaube, dass ich es geschafft hätte, das Kölner Schiff wieder auf Kurs zu bringen.» Dem Klub könne er aber nichts vorwerfen. «Ich kann die Entscheidung auf Grund der Situation sogar ein wenig nachvollziehen.»
In seiner kurzen Zeit in Köln hat Hanspeter Latour sein Herz so sehr an die Stadt und den Klub verloren, dass er sagt: «Ich werde sicher einen Geissbock mit in die Schweiz nehmen.» Was soll ein Bergdoktor auch sonst mitnehmen?
Nach 310 Tagen in Köln ist Latours Zeit abgelaufen: Am 9. November 2006 muss er gehen.Bild: EPA
2007 übernimmt er den letzten Trainerjob seiner Karriere. Latour kehrt für zwei Jahre zu GC zurück, doch selbst er kann den Rekordmeister nicht mehr zu alter Grösse zurückführen. Seit 2003 warten die Hoppers bereits auf ihren 28. Meistertitel.
Unvergessen
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