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Zwei Stunden nach seiner Ankunft im Weissen Haus verlässt es Selenskyj wieder – ohne Abkommen. Bild: keystone
Am Freitag hätten US-Präsident Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj eigentlich ein Abkommen über die Nutzung von Rohstoffen unterzeichnen sollen, doch es kam zu einem beispiellosen Schlagabtausch im Oval Office. Wie geht es nun weiter?
Das Treffen zwischen dem US-Präsidenten Donald Trump und dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj endete in einem Debakel, das in die Geschichte der Diplomatie eingehen wird:
Gemäss US-Medien warteten Selenskyj und seine Begleitschaft sogar noch in einem anderen Raum, um die Gespräche möglicherweise fortzuführen. Doch dazu kam es nicht. Die Delegation wurde gebeten, das Weisse Haus zu verlassen, berichtet etwa der Sender CBS.
Europäische Spitzenpolitiker meldeten sich alle kurz darauf zu Wort und zeigten sich solidarisch mit der Ukraine. Schon in den Tagen zuvor hatten der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer in Washington für die transatlantische Allianz geweibelt. Doch das hat anscheinend nicht geholfen. Die Beziehungen zwischen Europa und den USA sind an einem Tiefpunkt.
So eskalierte das Gespräch:
Video: extern
«Selenskyj soll sich entschuldigen»
Im Nachgang sagte Trump, Selenskyj solle zurückkommen, wenn er bereit für Frieden sei. Auf dem Weg in sein Anwesen in Palm Beach sagte der Republikaner zudem: «Ich will Frieden.» Deshalb solle Selenskyj aufhören, Putin zu kritisieren und Zugeständnisse machen. Zudem sagte er erneut, dass die Ukraine entweder sofort einem Waffenstillstand einwilligen soll oder die USA sonst dem Land sämtliche Unterstützung entziehen. Der amerikanische Aussenminister Marco Rubio forderte im Nachgang eine Entschuldigung von Selenskyj.
Sogar der republikanische Senator Lindsey Graham, der als Befürworter der Ukraine gilt, zweifelt daran, dass Trump und Selenskyj noch Geschäfte machen können. Entweder solle Selenskyj «jemanden schicken, mit dem wir Geschäfte machen können, oder er muss sich ändern», sagte der Senator vor den Medien.
Der republikanische Senator Lindsey Graham hat sich mehrmals offen für die Unterstützung der Ukraine ausgesprochen. Bild: keystone
Was will Trump?
Die USA und die Ukraine handelten ein Abkommen aus, das am Freitag hätte unterzeichnet werden sollen. Dabei ging es um ein Rahmenabkommen über den Zugang zu wertvollen Bodenschätzen in der Ukraine.
Die politische Absichtserklärung hätte einen Wiederaufbaufonds für die Ukraine geschaffen, bei dem die Ukraine 50 Prozent der Einnahmen aus Rohstoffprojekten eingezahlt hätte. Sicherheitsgarantien waren im Abkommen auch erwähnt, aber lediglich als Ziel und noch nicht rechtlich bindend.
Das Abkommen wäre zwar nur eine Absichtserklärung gewesen, die Ausarbeitung eines detaillierten Vertrags hätte noch Wochen oder Monate länger gedauert. Aber mit diesem Abkommen hätte Selenskyj weitere Sicherheitsgarantien oder Waffenlieferungen verlangen können.
Donald Trump, der versprochen hatte, den Ukraine-Krieg in einem Tag zu beenden, hätte eigentlich ein Interesse an einem diplomatischen Erfolg. Zudem sind die Rohstoffe in der Ukraine von hoher geopolitischer Bedeutung. Schätzungen zufolge könnten bis zu fünf Prozent aller kritischen Rohstoffe weltweit in der Ukraine liegen.
Ein Teil der Lagerstätten der seltenen Metalle in der Ukraine befinden sich bereits unter russischer Kontrolle. quelle: isw, stand: 18.2.2024/karte: stb
Es handelt sich um Mineralien, die zu den seltenen Erden gehören, die essenziell sind für Computerchips oder die Raumfahrt. Die Ukraine besitzt die in Europa grössten Vorkommen an Lithium, das für Akkus gebraucht wird. Für die USA sind diese Mineralien relevant, da China den Weltmarkt um die seltenen Erden und andere wertvolle Rohstoffe kontrolliert. Mit dem Deal hätten die USA so Zugang zu den ukrainischen Rohstoffen herstellen können.
Gleichzeitig hat sich Trump in den letzten Wochen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin immer mehr angenähert und die diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen. So hat Russland einen neuen US-Botschafter entsendet. Zudem hat Trump bei seinem Telefonat mit Putin auch über die gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen gesprochen. Nach diesem Telefonat hat Trump Narrative des Kremls übernommen und Selenskyj unter anderem als «Diktator ohne Wahlen» bezeichnet.
Die Putin-Kennerin und Journalistin Susan Glasser geht sogar so weit, dass sie gegenüber CNN sagt, Trump sei nicht mehr auf der Seite der Ukraine: «Donald Trump hat die Seiten im Krieg gewechselt, ich glaube, das ist der Kontext dieser Konfrontation, die wir gerade gesehen haben.»
Es gibt Experten, die vermuten, dass die Eskalation im Oval Office gezielt herbeigeführt wurde. So zitiert die BBC einen diplomatischen Beobachter, der einen politischen Schachzug vermutet. Demnach würde Trump Selenskyj zwingen, sich entweder den Bedingungen der USA zu fügen oder eine Krise auszulösen, die es ihnen ermöglicht, Selenskyj für alles, was folgt, verantwortlich zu machen.
Und der Krieg in der Ukraine?
Selenskyj betonte im Gespräch mit J.D. Vance und Donald Trump, dass ein Frieden nicht möglich ist ohne Sicherheitsgarantien. Diese lehnt Trump aber ab. Viele Ukrainer sind jedoch der Meinung, dass Putin einen Waffenstillstand nicht einhalten würde, solange er nicht abgeschreckt wird. Auch eine Reporterin fragte Trump, was denn wäre, wenn Russland einen Waffenstillstand brechen würde. Dieser antwortete: «Was dann? Was, wenn genau jetzt eine Bombe auf Ihren Kopf fällt?»
Die Ukraine erhofft sich neben Sicherheitsgarantien auch weitere Waffenlieferungen. Gemäss Zahlen des Kiel Instituts zahlen die USA zwar nicht mehr Militärhilfen als alle europäischen Partner zusammen, wie das Trump behauptet. Aber die USA sind trotzdem das grösste Spenderland im Ukraine-Krieg.
Nach dem Eklat am Freitag sagte ein Beamter der Trump-Administration, dass die gesamte US-Militärhilfe gestrichen werden könnte, berichtet die New York Times (NYT). Auch diejenigen, die noch während der Biden-Administration genehmigt und finanziert wurden, könnten wegfallen. Gemäss dem Pentagon sind von den Ausgaben, die vom Kongress genehmigt wurden, noch 3,85 Milliarden Dollar übrig. Die letzten Waffen, die die Ukraine von US-Rüstungsunternehmen gekauft hatte, würden zudem innerhalb der nächsten sechs Monate geliefert, schreibt die NYT weiter. Dann wird Europa möglicherweise auf sich alleine gestellt sein.
Europa ist am Zug
Der Druck auf die europäischen Partner steigt. Ohne die USA, das schätzt eine Analyse des Brüsseler Forschungsinstituts Bruegel und des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, müsste Europa 250 Milliarden Euro jährlich ausgeben, um Europa wirksam vor Russland zu verteidigen. Dafür müsste sie 300’000 Soldaten aufstellen, 1400 neue Kampfpanzer und 2000 Schützenpanzer, was die jetzigen Bestände von Deutschland, Frankreich, Italien und Grossbritannien übersteigt.
Im Verhältnis zur gesamten Wirtschaftsleistung wären das nur 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts, bilanzieren die Analysten. Das seien geringere Kosten, als die Corona-Pandemie verursachte. Die Autoren schlagen vor, die Verteidigungsausgaben der europäischen Verbündeten auf 3,5 bis 4 Prozent des BIP zu erhöhen.
Papst Franziskus hat nach Angaben des Vatikans im Krankenhaus einen Rückschlag erlitten. Der 88-Jährige habe am Nachmittag einen Bronchospasmus gehabt, eine Verkrampfung der Atemwege, hiess es am Abend in einer Mitteilung. Dies habe zu mehrfachem Erbrechen und einer «plötzlichen Verschlechterung des Atembilds» geführt. Franziskus sei daraufhin mechanisch beatmet worden. «Die Prognose bleibt daher verhalten», hiess es.