Drohnenkrieg in der Ukraine: Ein Augenschein bei den Bomberpiloten der Präsidentengarde

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Russische Soldaten im Visier: Pilot «Koch» bei der Arbeit.Bild: Josef Zehnder/Ch media

Neben technischem Know-how spielen Fingerspitzengefühl und Orientierungssinn eine grosse Rolle im Drohnenkrieg. Augenschein bei den Bomberpiloten der ukrainischen Präsidentengarde.

Kurt Pelda, Oblast Donezk / ch media

Im Garten liegen verschiedene kleine Bomben am Boden, fein säuberlich nebeneinander. Ein paar Schritte entfernt, in der Veranda des Hauses, stehen Säcke bereit, gefüllt mit Nahrungsmitteln und Munition. Draussen ist es schon stockfinster, aber im Haus brennen Lichter, es herrscht geschäftiges Treiben.

Mike, im ukrainischen Zivilleben ein Unternehmer, ist jetzt Kommandant einer kleinen Artillerieeinheit im 21. Bataillon der Präsidentengarde. Weil Munition Mangelware ist, haben sich seine Männer darauf spezialisiert, selbst gebastelte Bomben mit Drohnen auf die russischen Invasoren abzuwerfen.

Vampire sind nachtaktiv

Besser bekannt sind allerdings die sogenannten Kamikaze-Drohnen: kleine Quadcopter, die mit einem meist panzerbrechenden Gefechtskopf ausgerüstet sind. Dieser explodiert beim Aufschlag auf dem Ziel. Im Gegensatz zu diesen Einweg-Drohnen können Bomberdrohnen wie die ukrainische Eigenentwicklung «Vampir» immer wieder verwendet werden.

Gut unterrichtete Kreise in Kiew geben zu bedenken, dass diese wiederverwertbaren Fluggeräte mehr russische Soldaten töten und verwunden als die bekannten Kamikaze-Drohnen. Statt deren geringen Zuladung von etwa 1,5 Kilogramm kann ein Vampir mit seinen sechs Rotoren insgesamt 20 Kilogramm transportieren.

Mikes Bombermannschaft besteht neben ihm selbst noch aus «Eff», dem Teamchef, und dem Piloten mit dem Kampfnamen «Koch». Die drei Männer ziehen sich ihre Schutzwesten über und setzen den Helm auf, der mit einem leistungsfähigen Nachtsichtgerät versehen ist. Die Vampire werden vor allem in der Nacht aktiv, denn am Tag würden die grossen Drohnen zu leicht abgeschossen.

Eine kleine Bomberdrohne mit maximal fünf Kilogramm Zuladung vor dem Zusammenbau.Bild: Josef Zehnder/ch media

Wir treten hinaus in die Dunkelheit. Taschenlampen sind von nun an nur mit Rotlicht gestattet, damit uns die Russen nicht schon von weitem sehen. Schnell werden die Bomben, die Säcke mit dem Nachschub sowie Antennen, Batterien und der Vampir auf der Ladefläche eines Pick-ups verstaut. Mike setzt sich hinters Steuer. Zu Beginn fährt er noch mit Abblendlicht, denn wir sind noch etwa zwölf Kilometer von der Front entfernt. In der Gegend sieht es für die Ukrainer nicht gut aus. Die Städte Tschassiw Jar und Torezk haben Putins Soldaten praktisch schon erobert, nur das wesentlich grössere Pokrowsk hält dagegen noch stand.

Zuerst Nachschub, dann Bomben

«Kamel, Kamel, hörst du mich?», ruft Eff ins Mikrofon des Funkgeräts. «Hier spricht Gehirn.» Inzwischen poltert der Pick-up über eine Piste voller Schlaglöcher. Mike schaltet die Autolichter aus, und die drei Männer klappen ihre Nachtsichtgeräte vom Helm herunter, sodass sie die Okulare wie bei einem Fernglas direkt vor den Augen haben. Es ist eine mondlose Nacht. Am Horizont blitzt und donnert es, aber es handelt sich nicht um ein Gewitter. Es sind Artillerieduelle.

Fahrt durch die Nacht mit den Bomberpiloten.bild: Josef Zehnder/ch media

Bei einem Haus halten wir vor der Garage. Weil es so dunkel ist und ich kein Nachtsichtgerät besitze, muss ich mich hinten an Effs Schutzweste festhalten. So führt mich der Teamchef zur Garage, während er mit seinem Sturmgewehr sicherstellt, dass auf dem Weg keine böse Überraschung lauert. In dem modrig riechenden Raum schalte ich meine rote Taschenlampe ein. Am Boden liegt eine Matratze, es hat viel Unrat, einen alten Kinderwagen und ein paar abgewetzte Sessel. Mike stellt draussen Antennen auf und verkabelt die Geräte, während es sich Eff und Koch in der Garage gemütlich machen.

«Es ist schwierig, manche Stellungen mit Nachschub zu versorgen, weil sie ständig unter Beschuss sind oder unsere Fahrzeuge auf dem Weg dorthin von russischen Drohnen angegriffen werden», erzählt Eff. «Darum werden wir als Erstes bei unseren Positionen Säcke mit Proviant, Munition und Akkus für Funkgeräte abwerfen.» Danach erst sollen die Bomben zum Einsatz kommen. «Manchmal platzieren wir auch Minen auf den Nachschubwegen der Russen, aber das steht heute nicht auf dem Programm.»

Gute Sicht dank Wärmebildkamera

Es dauert eine Weile, bis alles aufgebaut und die Drohne startklar ist. Mike behängt sie mit zwei Säcken, die zusammen knapp 20 Kilogramm schwer sind. In der Garage schlagen sich Eff und Koch mit Login-Daten für ihre Tablet-Computer und das Steuerungssystem herum, doch am Ende ertönt das tiefe Brummen der sechs Propeller, und der Vampir hebt ab. Zuerst geht es zu den Stellungen «Schitomir» und «Mond». Auf Effs digitaler Karte lässt sich der Flug genau verfolgen.

Der Vampir ist mit einer Wärmebildkamera ausgerüstet, deshalb sieht Koch die Gegend mit ihren zerschossenen Gebäuden von oben in Schwarz-Weiss. Das Abwerfen des Proviants erfordert einen guten Orientierungssinn und viel Fingerspitzengefühl. Eff ist für die Orientierung zuständig und korrigiert Koch jeweils, wenn der Vampir nicht genau am richtigen Ort schwebt. Es windet heftig, und es ist schwierig, die Drohne in der Luft zu stabilisieren.

Vier Bomben am Vampir

Dann gibt Eff den Befehl zum Abwurf. Der Sack fällt wie ein Stein, trifft eine Mauer und wird weggeschleudert. Die Szene wiederholt sich. Jeweils zwei Säcke werden zu den verabredeten Positionen geflogen. Danach kehrt der Vampir mit Autopilot zurück zur Garage und wird wieder beladen. Die Versorgungsaktion dauert gefühlt etwa eineinhalb Stunden.

Dann hängt Mike vier Bomben an den Vampir. Koch fliegt zu einer Markthalle, deren Dach durch Beschuss schon durchlöchert ist. Die Halle ist mehr als 100 Meter lang. Am einen Ende hat die Drohne vor wenigen Minuten noch Proviant und Batterien für die Ukrainer abgeworfen, doch am anderen Ende sollen sich Russen unter dem Dach versteckt haben. Eff dirigiert den Vampir jetzt ganz exakt. Unter anderem will er eine Bombe durch eines der Löcher im Dach ins Innere der Halle fallen lassen.

Einschlag einer Bombe auf dem Dach der Markthalle.Bild: Josef Zehnder/ch media

Das gelingt dem Piloten, und in kurzen Abständen sind auf den Bildschirmen der Tablets die Feuerbälle der Explosionen zu sehen. Ob jemand dabei zu Schaden kommt, lässt sich so schnell nicht sagen. Aber der Abwurf des Proviants hat geklappt, die ukrainischen Bodentruppen haben den Erhalt bestätigt. Nach etwa drei Stunden im Einsatz geht es zurück zur Basis. Das Grollen der Kanonen begleitet uns noch eine Weile.

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