Dienstag, 06. Mai. 2025
Home Weltgeschehen Anstieg bei schwerer Gewalt: «Der treibende Faktor sind junge Männer»

Anstieg bei schwerer Gewalt: «Der treibende Faktor sind junge Männer»

by Redaktion
0 comments
Anstieg bei schwerer Gewalt: «Der treibende Faktor sind junge Männer»

Nachrichten Linkding

Nachrichten Linkding In Stuttgart (D) ist am Mittwochabend ein Mann auf offener Strasse mit einem schwertähnlichen Gegenstand erstochen worden. (Symbolbild)

Gewalttaten mit einem Messer haben zugenommen.Bild: KEYSTONE

Interview

Wenn die Kriminalstatistik erscheint, läuft bei Kriminologe Dirk Baier immer das Telefon heiss. Dieses Jahr besonders, denn die schweren Gewalttaten sind um fast 20 Prozent gestiegen. Das hat auch den Kriminologen überrascht. Ein Gespräch über die Gründe und eigentlich positive Zahlen.

Sabine Kuster / ch media

Sie gehören nicht zu den Alarmisten. Aber jetzt haben wir so viele Straftaten wie seit 2009 nicht mehr. Das ist kein Ausrutscher, oder?
Dirk Baier: Der Peak war eigentlich 2012, danach sanken die Zahlen bis 2020. Seither steigen sie wieder. Da kann man schon von einem Trend sprechen. Und das geschah breit – nicht nur wegen der Gewalt und der Cyberkriminalität, sondern auch wegen Einbruchdiebstählen und Fahrzeugdiebstählen. Jetzt müssen wir trotzdem Deliktbereich für Deliktbereich genauer anschauen und herausfinden, was dahintersteckt.

Ich kenne einige, die ihre Haustür nicht immer abschliessen – wird das langsam leichtsinnig?
Man sollte Opfern keine Schuld geben. Aber natürlich wäre es gut, über Risiken aufzuklären. Da geht es auch um gekippte Fenster und um seit drei Tagen ungeleerte Briefkästen, die das Einbruchsrisiko erhöhen. Man kann einiges tun, um so etwas nicht zu erleben, denn Wohnungseinbrüche sind sehr belastend.​

Nachrichten Linkding Dirk Baier, Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW)

Kriminologe Dirk Baier ist Professor an der ZHAW im Institut für Delinquenz und Kriminalprävention und an der Universität Zürich.Bild: zvg

Besonders in der Cyberkriminalität findet viel Aufklärung statt, bezüglich Online-Liebesbetrug zum Beispiel. Und doch hat es einen Anstieg von 35 Prozent gegeben.
Die Cyberkriminalität ist erstens gestiegen, weil es beim Identitätsmissbrauch eine Gesetzesänderung gab. Zweitens, weil wir alle mehr im Internet unterwegs sind und mehr auf diesem Weg kaufen. Drittens hilft nun die künstliche Intelligenz, die Phishingmails ohne Rechtschreibfehler herzustellen, oder es werden Stimmen gefälscht. Es gibt hier also neue Möglichkeiten, Straftaten zu begehen. Dazu kommt, dass es schwierig ist, Cyberkriminalität aufzuklären und den Tätern das Handwerk zu legen. Die Aufklärungsquote der Polizei sinkt allgemein bei Straftaten. Sie war mal bei 42 Prozent, jetzt sind es noch 37,7 Prozent. Bei der Cyberkriminalität aber ist die Schwierigkeit, dass die Täter in der Regel nicht in der Schweiz sitzen.

Drastisch zugenommen hat auch eine alte Kriminalität: die schweren Gewaltdelikte.
Wir haben pro Tag in der Schweiz drei schwere Körperverletzungen. Natürlich sind das drei zu viele, aber sie sind überschaubar. Der treibende Faktor ist wichtig: junge Männer und insbesondere jene mit Messer. Dieser Anstieg ist besonders deutlich. Die Messer haben wir schon seit zwei Jahren auf dem Radar. Wenn Messer mitgenommen werden, sind die letztlich schuld, dass aus einer einfachen Körperverletzung eine schwere Körperverletzung wird.​

Warum sind die jungen Männer häufiger mit Messern unterwegs? Sind Vorbilder aus dem Internet schuld oder Gang-Gebaren?
Es ist beides. Über Social Media werden gewisse Männlichkeitsbilder transportiert, bei denen ein Messer dazugehört, damit man ein richtiger Kerl ist. Nicht für alle ist das wichtig, aber für jene, die sonst wenig zu zeigen haben. Und es ist für junge Menschen wieder wichtiger, in Cliquen unterwegs zu sein und öffentliche Räume zu besetzen. Vor zehn Jahren sind die jungen Männer eher hinter dem Computer verschwunden.

Das ist eigentlich nicht schlecht, wenn die Jugendlichen seltener beim Gamen vereinsamen.
Ja klar, in Gemeinschaft lernen sie Beziehungen, Intimität, bestimmte Werte, sie lernen diskutieren. Aber bei Gruppenbildungen werden oft andere abgelehnt, es kommt zu Feindbildern, Abgrenzungen, Gewalt.

Der Einsatz von Schusswaffen hat immerhin abgenommen: Bei schwerer Körperverletzung sind 80 Prozent weniger Schusswaffen im Spiel, bei Tötungsdelikten 17 Prozent weniger.
Es gibt in einem Fünftel aller Haushalte in der Schweiz immer noch Waffen – dafür passiert erstaunlich wenig. Jedenfalls beim Schusswaffengebrauch gegen andere, nicht gegen sich selbst.

Und doch passierten 2024 mehr als die Hälfte aller Tötungsdelikte im häuslichen Bereich. Nützen all die langjährigen Sensibilisierungen der Polizei und die Präventionsarbeit nichts?
Bei den Tötungsdelikten im häuslichen Bereich sind die Zahlen mit 26 Fällen sehr klein, da ist eine Aussage schwierig. Und immerhin sind sie stabil. Total sind die Tötungsdelikte sogar zurückgegangen.​

Generell hat die häusliche Gewalt um 6 Prozent zugenommen, nachdem sie drei Jahre lang unverändert war.
Ja, aber die häusliche Gewalt stieg davor schon länger. Da könnte man sagen, die Prävention nütze gar nichts. Aber ich bin überzeugt: Die steigenden Zahlen sind genau der Nachweis, dass die Prävention nützt und mehr Fälle zur Anzeige gebracht werden. Die Opfer gehen öfter zur Polizei, das Dunkelfeld hellt sich auf. Und möglicherweise hätten wir ohne die Präventionsarbeiten doppelt so viele Fälle – wir wissen ja nicht, wie viele verhindert werden konnten.​

Spielt dieser Effekt auch mit bei den Vergewaltigungen, die im letzten Jahr drastisch um 30 Prozent gestiegen sind?
Ja, nicht alles, was steigt, ist problematisch. Bei den Vergewaltigungen ist es zu einem guten Teil die Anzeigebereitschaft, die gestiegen ist. Die Zunahme ist also eigentlich ein gutes Zeichen. Bislang hatten wir eine Anzeigerate von schätzungsweise nur 10 oder 12 Prozent aller Vergewaltigungen.​

Haben vielleicht gewisse Männer auch das Gefühl, sie könnten sich das wieder erlauben?
Das schliesse ich nicht aus. Wir kennen mediale Vorbilder wie Andrew Tate, die andere dazu animieren, Frauen als Objekte zu behandeln und sich zu nehmen, was sie wollen. Gleichzeitig ist eine so starke Zunahme innerhalb eines Jahres meiner Ansicht nach immer ein Kunstprodukt – eine Gesellschaft verändert sich innert zwölf Monaten nie so stark, dass es zu 30 Prozent mehr Fällen kommt. Aber letztes Jahr hat sich die Gesetzgebung bei Vergewaltigungen geändert – neu gelten Delikte als Vergewaltigung, die früher nicht so klassiert wurden, wie zum Beispiel, dass auch ein Mann vergewaltigt werden kann.

Kriminalstatistiken befeuern jedes Jahr die Migrationsdebatte. Dieses Jahr sind die Schweizer unter allen Straftaten nur noch zu 43,3 Prozent vertreten, letztes Jahr waren es noch 44,3 Prozent. Dabei machen Personen mit Schweizer Pass 73 Prozent in der Bevölkerung aus – warum soll man da offen sein für mehr Migranten?
Weil immer noch 98 Prozent aller Ausländerinnen und Ausländer keine Straftaten begehen. Wir reden über eine sehr kleine Gruppe – die zweifellos grösser ist als jene bei den Schweizern. Es ist aber in allen möglichen Gruppierungen in der Schweiz immer eine Minderheit, die kriminell wird. Es lässt sich meist mit ihrer sozialen Situation erklären: mit mangelnder Integration, mangelnden Sprachkenntnissen, mangelnden Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Wenn man solche persönlichen Situationen vergleicht unter Schweizern und Ausländern, verschwinden die Unterschiede schnell. Ausserdem braucht die Schweizer Wirtschaft die Migranten.​

«Es gibt auch keine Weltregion, von der man sagen kann: Da kommen all die Machos her.»

Was ist denn mit machoiden Einstellungen, die in gewissen Bevölkerungsgruppen verbreiteter sind?
Es stimmt, dass die unter den Straffälligen verbreitet sind, aber auch unter den Schweizer Tätern. Die meisten Migranten haben mit solchen Macho-Allüren nichts am Hut. Es gibt auch keine Weltregion, von der man sagen kann: Da kommen all die Machos her. Man sollte vorsichtig sein, bevor man eine ganze Gruppe stigmatisiert. Es ist halt immer etwas komplizierter.

Kann es bei der Prävention nicht Sinn machen, den Fokus auf gewisse Gruppen zu legen?
Dann muss man die Prävention aber an der elterlichen Erziehung ausrichten. Es stimmt, dass es manchmal für Familien kulturelle Übersetzer braucht, Autoritätspersonen, welche die Nachrichten in die Familien überbringen. Solche Austauschtische gibt es zum Beispiel für muslimische Frauen. Auch Massnahmen in Schulen sind gut, dann profitieren alle davon, im besten Fall auch die Eltern.​

Sind Sie optimistisch, was die weitere Entwicklung angeht?
Ich hätte diesen Anstieg nicht erwartet. Der Cybercrime-Bereich erklärt einiges, aber ich hätte eher auf eine Stabilisierung getippt. Dennoch gehe ich davon aus, dass wir bald den Höhepunkt erreicht haben und die Kriminalität nicht weiter steigt. Weil vieles ist in Bewegung, es gibt viele Bemühungen. Auch die Kinder- und Jugendkriminalität ist nicht weiter gestiegen. Es hat also etwas genützt, was in den letzten Jahren dagegen gemacht wurde. Ausserdem bin ich Berufsoptimist.​

Trotz der internationalen Vorbilder?
Da kann einem angst und bange werden. Aber ja, trotz dieser Vorbilder.​

Wenn die Kriminalstatistik erscheint, läuft bei Kriminologe Dirk Baier immer das Telefon heiss. Dieses Jahr besonders, denn die schweren Gewalttaten sind um fast 20 Prozent gestiegen. Das hat auch den Kriminologen überrascht. Ein Gespräch über die Gründe und eigentlich positive Zahlen.

Sie gehören nicht zu den Alarmisten. Aber jetzt haben wir so viele Straftaten wie seit 2009 nicht mehr. Das ist kein Ausrutscher, oder?
Dirk Baier: Der Peak war eigentlich 2012, danach sanken die Zahlen bis 2020. Seither steigen sie wieder. Da kann man schon von einem Trend sprechen. Und das geschah breit – nicht nur wegen der Gewalt und der Cyberkriminalität, sondern auch wegen Einbruchdiebstählen und Fahrzeugdiebstählen. Jetzt müssen wir trotzdem Deliktbereich für Deliktbereich genauer anschauen und herausfinden, was dahintersteckt.

Read More

You may also like

Leave a Comment

About Us

Wir sind Dein Partner für eine einfachere digitale Welt. Mit aktuellen Informationen und Tools unterstützen wir dich dabei, das Beste aus der digitalen Welt herauszuholen.

Sei SMART und nutze linkd.ing.

Feature Posts

Newsletter

Subscribe my Newsletter for new blog posts, tips & new photos. Let's stay updated!

Are you sure want to unlock this post?
Unlock left : 0
Are you sure want to cancel subscription?

This website uses cookies to improve your experience. We'll assume you're ok with this, but you can opt-out if you wish. Accept Read More

-
00:00
00:00
Update Required Flash plugin
-
00:00
00:00