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Der öffentliche Verkehr kostet jedes Jahr Milliarden Franken an Steuergeldern.Bild: www.imago-images.de
Forscher haben für den Bund untersucht, wie mehr Menschen für den öffentlichen Verkehr begeistert werden könnten. Dazu gehören Massnahmen, die das Autofahren verteuern. Welche Vorschläge Chancen haben – und welche Utopie bleiben dürften.
Stefan Ehrbar / ch media
Der öffentliche Verkehr kostet jedes Jahr Milliarden Franken an Steuergeldern, und trotzdem kam er jahrelang kaum vom Fleck. Sein Anteil an den zurückgelegten Kilometern in der Schweiz stieg seit Anfang der Nullerjahre von 17,2 Prozent zwar auf gut 20,6 Prozent im Jahr 2007, verharrte dort aber bis 2019. In den Coronajahren stürzte er gar auf 17,6 Prozent ab. Den Rest teilen sich das Auto, das zu Fuss gehen und das Velo.
Unter dem Eindruck der ÖV-Stagnation reichten Parlamentarierinnen und Parlamentarier der Mitte-Partei, der SP, der GLP und der Grünen Ende 2019 Motionen ein. Sie forderten den Bundesrat auf, einen Massnahmenplan vorzulegen, um den ÖV-Anteil zu steigern. Ende 2021 nahm das Parlament die Motionen an. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) beauftragte die Beratungsfirma Interface und die Hochschule Luzern mit einer Studie. Sie sollte aufzeigen, welche Massnahmen Wirkung versprechen. Nun liegen die Ergebnisse vor.
Verpflichtend sind die Studienergebnisse für den Bund nicht. Viele Vorschläge sind politisch chancenlos. Andere könnten aber einen Einfluss auf aktuelle Debatten haben. Dazu gehört der Vorschlag, künftig vermehrt auf Systeme wie Metros und Trams zu setzen. Deren Ausbau ist oft schneller möglich als jener der Eisenbahn und kann wirkungsvoller sein.
Trams kosten Kantone mehr
Besonders im städtischen Raum würde ein schnelles ÖV-System wie etwa eine Metro «nochmals einen Qualitätssprung auslösen». Dieser würde sich «deutlich» auf den ÖV-Anteil auswirken, schreiben die Forscher. Es müsse nicht unbedingt eine Metro sein: «Für die Schweiz könnte es darauf hinauslaufen, Tramsysteme konsequenter in die Agglomeration zu verlängern und im dichten Raum durch Tram-Tunnels zu beschleunigen.»
Positive Beispiele gibt es bereits. «Die Metro M2 in Lausanne dürfte dazu beigetragen haben, dass die ÖV-Nachfrage in dieser Stadt im Vergleich der Schweizer Städte überdurchschnittlich gestiegen ist», heisst es in der Studie. Eine Verlagerung hin zum öffentlichen Verkehr zeigte auch der Bau der Glattalbahn im Kanton Zürich, die seit 2006 Gemeinden zwischen Zürich und dem Flughafen mit dem Tram verbindet. Erste Daten deuten darauf hin, dass auch die 2022 eröffnete Limmattalbahn zwischen Zürich und Spreitenbach AG einen ähnlichen Effekt ausgelöst hat.
Allerdings werden nur Ausbauten der Eisenbahn vollständig vom Bund finanziert. An Tram- und Metroprojekte steuert er über die Agglomerationsprogramme maximal 40 Prozent bei. Den Rest müssen Kantone und Gemeinden bezahlen, für die es deshalb günstiger kommt, stattdessen den Bahnausbau zu forcieren.
Günstigere Billette, aber nicht für alle
SBB-Chef Vincent Ducrot sprach vor einem Jahr von «Fehlanreizen» und schlug vor, dass auch Tram- und Metroprojekte vom Fonds für die Bahninfrastruktur bezahlt werden könnten. Dem schloss sich in einem Beitrag für die NZZ Peter König an, langjähriger Chef des Rechtsdiensts des BAV.
Die Forderungen könnten Chancen haben, umso mehr, weil das Departement von Bundesrat Albert Rösti (SVP) derzeit eine Auslegeordnung zum weiteren Ausbau der Strassen- und Schieneninfrastruktur erarbeitet. Eine Praxisänderung könnte eine der Folgen davon sein.
Ebenfalls realistisch scheinen Vorschläge der Studienautoren, die auf eine Verbesserung des Zugangs zum ÖV-Netz zielen, etwa durch den Bau von Verkehrsdrehscheiben an Bahnhöfen. Das können etwa Bahnhöfe mit Parkplätzen, Bushöfen und Angeboten wie E-Bikes sein. Gute Umsetzungschancen haben auch Vorschläge, die auf die Verbesserung des Komforts, die Ausdehnung von Betriebszeiten oder die Vergünstigung der Billette für bestimmte Nutzergruppen zielen.
Teureres Benzin für den ÖV
In vielen dieser Bereiche sei die ÖV-Branche bereits aktiv, heisst es in der Studie. So wurden in den vergangenen Jahren vielerorts Nachtnetze an den Wochenenden ausgebaut oder neue, günstigere Abos lanciert wie das GA Night für Jugendliche. Mit einigem Erfolg: Nach den Coronajahren stieg der ÖV-Anteil erstmals wieder an auf 22,5 Prozent im Jahr 2023 – ein neuer Rekord.
Potenzial zur Verlagerung sehen die Studienautoren auch in der vermehrten Nutzung von Velos und E-Bikes. Insgesamt könnten solche Massnahmen eine Steigerung des ÖV-Anteils im einstelligen Prozentbereich bewirken.
Politisch umstritten bis chancenlos dürften hingegen Massnahmen sein, die auf das Auto zielen. Wirksam wären sie: Eine CO2-Lenkungsabgabe in der Höhe von 1.76 Franken pro Liter Benzin respektive 1.99 Franken pro Liter Diesel hätte laut der Studie zur Folge, dass der ÖV-Anteil am Gesamtverkehr um 4 Prozentpunkte steigen würde. Berücksichtigt ist, dass dann mehr Menschen ein Elektroauto kaufen würden.
Auch Mobility Pricing hätte einen Verlagerungseffekt zur Folge, ist aber bisher nirgends konkret ein Thema. Dasselbe gilt für Umweltzonen, also Zonen in Städten, die nur mit Elektroautos befahren werden dürfen oder mit Autos, die strenge Abgasnormen erfüllen. Die Einführung einer solchen Zone in Madrid habe den ÖV-Anteil um 9 Prozentpunkte erhöht, schreiben die Autoren. Es sei aber schwierig, diese Ergebnisse auf die Schweiz zu übertragen.
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